Samstag, 24. Januar 2009
 
Was für ein Sozialismus im 21. Jahrhundert? - Versuch einer Standortbestimmung PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Hermann Dworczak   
Montag, 5. Mai 2008

In den letzten Tagen wurde auf diesen Seiten eine Debatte über die Möglichkeit der Gründung einer neuen Linkspartei in Österreich diskutiert. Hier geht es jetzt um die Linke weltweit. DerAutor fordert eine Neugründung.

Extrem verdichtet läßt sich sagen: nicht weniger als eine "rifondazione", eine Neubestimmung bzw. Neugründung des Sozialismus steht im 21. Jahrhundert an.
 
Das 20. Jahrhundert, das mit der Oktoberrevolution so hoffnungsvoll für die ArbeiterInnenbewegung begonnen hatte, endete - mehrheitlich- im Stalinismus. Dem Faschismus gelang es in einigen Ländern an die Macht zu kommen – sechs Millionen Juden und Jüdinnen wurden Opfer des - industriuell organisierten - Holocaust.  
 
Stalinismus bedeutete nicht nur brutalste Herrschaft einer bürokratischen Kaste über die sowjetische - und nach 1945 über die osteuropäische - ArbeiterInnenklasse, sondern Unterordnung der kommunistischen Parteien der ganzen Welt unter die Politik der Kremlbürokratie: insbesondere nach der "Volksfront"-Wende 1935 wurden die KPs angehalten mit den "nationalen" bzw. "antifaschistischen" Bourgeoisien zu kooperieren. Die sozialistische Veränderung der bürgerlichen Gesellschaft wurde auf der Basis einer mechanistischen "Etappentheorie" auf "später" vertagt...
 
Es gab in der internationalen Arbeiterbewegung Minderheitspositionen, die Positionen vertraten, die sich später als "richtig" erwiesen, aber zum neuralgischen Zeitpunkt nicht geschichtsmächtig wurden: erinnert sei etwa an Trotzkis leidenschaftlichen Kampf gegen den Faschismus und für eine "Arbeitereinheitsfront" oder an die theoretischen und politischen Vorstellungen eines José Carlos Mariátegui, der sich der  konkreten Realität Perus bzw. Lateinamerikas stellte und insbesondere die spezifische Situation der – in einigen Ländern - mehrheitlichen Indio-Bevölkerung unterstrich (1).

Es ist richtig, daß die Krakenarme des Stalinismus nicht überall hinreichten: die chinesische Revolution etwa erfolgte gegen den Willen Stalins, ein positives "Modell" des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft gelang jedoch nicht. Heute geht die KP Chinas - unter Beibehaltung des politischen Monopols - sogar einen extrem "kapitalistischen Weg" (2).
 
Nach dem kläglichen Zusammenbruch der Sowjetunion bzw. ihrer Satellitenstaaten und dem weitestgehenden Einschwenken der Sozialdemokratie auf neoliberalen Kurs - da und dort durch keynesianische Pflästerchen gemildert - steht nicht weniger als eine grundsätzliche Neubestimmung sozialistischer Positionen, organisatorisch eine rifondazione auf der Tagesordnung.
 
Unverzichtbare Kernelemente
 
Selbstredend beginnt die Debatte nicht bei Null und es gibt einen historischen Fundus, aus dem- kritisch- geschöpft werden kann: die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki - konzipiert von Lenin und Trotzki - ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was später Stalin und seine Gefolgsleute betrieben oder aktuell die KP Chinas (Tibet!) praktiziert.  Rosa Luxemburgs Diktum "Die Freiheit ist immer auch die Freiheit des anderen" zeugt von einem offenen, nicht- bürokratischen Sozialismus- Verständnis. Viele solcher Positionen des "Wärmestrom des Marxismus“ (Ernst Bloch) sind  jedoch verschüttet worden, heute  kaum mehr bekannt.
 
An vier Punkten möchte ich  exemplarisch klar machen, was "Neubestimmung"  eines Sozialismus des 21. Jahrhundert meint:
 
- angesichts der dramatischen Probleme auf dem Globus (selbst der Hunger, das tägliche Elend, ist weltweit wieder da) muß er revolutionär sein: also nicht die kapitalistische Misere bloß verwalten und ein bißchen zu modifizieren zu versuchen. Es geht um das Brechen der Logik des Kapitals, um eine fundamentale  Veränderung der Eigentumsverhältnisse, um das Knacken des bürgerlichen Staates. Dies zu unterstreichen ist keine müßige "Selbstverständlicheit": in jeweils anderem sozialen und politischen Kontext sind der südafrikanische ANC, die brasilianische PT oder die Rifondazione Communista in Italien ursprünglich für eben solche radikale Veränderungen angetreten. In der Folge haben sie sich jedoch "realpolitisch" arrangiert und nur mehr die Misere gestaltet.
 
- angesichts des Verkommens der revolutionären Ansätze im Stalinismus gilt es den Sozialismus des 21. Jahrhunderts nicht-etatistisch  als Selbstverwaltungssozialismus zu sehen. Eigeninitiative, Selbsttätigkeit auf allen Ebenen ist seine Meßlatte. Öffentliches Eigentum der großen Produktionsmittel und Mehrparteiensystem sind unverzichtbar. Aber das Um und Auf ist die Selbstgestaltung des gesamten Lebens, plural, frei und von unten nach oben ohne Dominanz von "weisen Führern und Caudillos ".
 
- angesichts der enormen Umweltprobleme kann ein Sozialismus des 21. Jahrhundert nur radikal (im Sinne von Marx, nämlich "an der Wurzel fassend") ökologisch sein. Der  Kapitalismus untergräbt, ja  zerstört zunehmend und immer rascher die natürlichen Grundlagen der (menschlichen) Existenz. Dem kann nur entgegengearbeitet werden, wenn die gesamte Produktions- und Konsumweise verändert wird. Realistischerweise kann solch ein Mammut-Projekt nur eine nicht-kapitalistische Gesellschaft bewältigen.
 
- angesichts der global andauernden Unterdrückung von Frauen hat ein künftiger Sozialismus nur dann eine Chance, wenn er sich fundamental feminisiert, aktiv gegen Patriarchat und Machismo vorgeht.
 
( 1 ) Jose Carlos Mariátegui. Revolution und peruanische Wirklichkeit . Ausgewählte politische Schriften. herausgegeben von Eleonore v. Oertzen, Frankfurt/M., 1986
 
(2) Hyekyong Cho: Chinas langer Marsch in den Kapitalismus , Münster 2005, 359 Seiten
 

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